Religion in der laizistischen Türkei
Wie steht es um das Menschenrecht der Religions- und Bekenntnisfreiheit in der Türkei?

 

Vortrag gehalten bei Pro Oriente Graz, 3. Juni 2005 – Universität Graz

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Nach kurzem Zögern habe ich Ihre Einladung zum heutigen Vortrag angenommen, obwohl mir bewusst ist, dass man bei diesem Thema in der Darstellung Unzufriedenheit hervorrufen kann.

Gerade weil ich seit 28 Jahren in Istanbul als katholischer Priester in einer säkularen Position, nämlich als Direktor für hauptsächlich muslimische türkische Schüler tätig bin, ist mir bewusst, dass Darstellungen der türkischen Wirklichkeit zwar im Einzelbereich zutreffend sein können und trotzdem durch die Vernachlässigung der Gesamtsituation ein unwahres Bild erzeugen.

Manche Darstellungen der Türkei erinnern mich an Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“, wo möglicherweise viele einzelne Fakten stimmen, aber in der ich als Christ meine Kirche nicht mehr erkenne. Weil ich in der Türkei lebe und dieses Land durchaus als meine zweite Heimat sehe und seine Menschen gern habe, verstehe ich die Betroffenheit vieler Türken über Aussagen über ihre Heimat, die sie als verzerrt empfinden. Und gleichzeitig erlebe ich allerdings auch viele Einschränkungen und Schwierigkeiten, von denen ich hoffe, dass sie von meinem Gastland in längerfristiger Zukunft gelöst werden können. Die soll ich auch aufzeigen, weil ein Verschweigen solcher Fragen für niemanden hilfreich ist und nur dazu beiträgt, dass Klischeebilder gezeichnet werden.

Vor nicht allzu langer Zeit hat die amerikanische Außenministerin die Türkei als Beispiel für ein aufgeklärtes islamisches Land hervorgehoben und wollte damit eine für die Türkei positive Aussage machen. Der türkische Staatspräsident Sezer hat sogleich schärfstens dagegen protestiert, weil dieses Bild absolut unzutreffend sei, da die Türkei nicht ein islamisches, sondern ein laizistisches Land sei. In Klammern könnte man hier noch anmerken, dass die Türkei seit kurzem den Generalsekretär der Vereinigung islamischer Staaten stellt, um deutlich zu machen, wie komplex dieses Bild ist.

1. Das laizistische Modell der Türkei

Um über den Hintergrund der Situation von Christen in der Türkei zu sprechen, was ja das Anliegen von Pro Oriente ist, muss man einfach einige Worte über den laizistischen Staat Kemal Atatürks und seine Haltung zur Religion sagen. Wir sprechen bei uns meist sehr allgemein von Religionsfreiheit, ohne immer klar zu sehen, dass wir auch innerhalb der EU sehr verschiedenartige Zugänge haben. Vielleicht ist einigen von Ihnen das deutlich geworden, als nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. die rechtliche Erlaubtheit einer Trauerbeflaggung von einzelnen europäischen Institutionen hinterfragt wurde.

Es gibt im heutigen Europa kaum mehr Staatskirchen (ich will hier gar nicht die theoretische englische Situation ansprechen, aber auch Griechenland ändert sich) oder Systeme ohne religiöse Neutralität mit völliger Ablehnung oder Überwachung der Religion (wie etwa in der ehemaligen DDR).

In den europäischen Systemen mit religiöser Neutralität ist grundsätzlich Religionsfreiheit gewährleistet. Innerhalb dieser Systeme gibt es allerdings zwei grundsätzliche Formen mit sehr unterschiedlicher Ausführung: Trennungssysteme und Kooperationssysteme. Während Österreich klar den Weg der Kooperationssysteme gewählt hat, gibt es als bekanntestes Beispiel eines Trennungssystems die Ausrichtung Frankreichs. Dort wurde aufgrund der Entwicklungen der Französischen Revolution bzw. der Aufklärung die Religion in den Privatbereich verschoben, um zu neuen Idealen gleichsam zu befreien, da davon ausgegangen wurde, dass sie von der Religion prinzipiell unterdrückt würden. Allerdings gibt es die Kirchen in Frankreich und ein Rechtsstand ist für sie auch gegeben. Im öffentlichen Raum finden sich aber außer bei Beerdigungen praktisch keine religiösen Zeremonien. Bei religiösen Streitfragen wie dem islamischen Kopftuch wird ein generelles Verneinen bzw. Verbieten von religiösen Zeichen angestrebt.

Die Türkei hat sich als Vorbild Frankreich gesucht. Am 29. Oktober 1923 wurde in Ankara die Republik Türkei proklamiert, aus dem Kalifatstaat wurde ein laizistischer Nationalstaat mit einer neuer Staatsform und einem neuen Rechtssystem. In vielen Bereichen galten islamisch geprägte Formen als Hindernis.

1924 schaffte deshalb der Staatsgründer Kemal Atatürk das Kalifat und 1928 das Şeriats-Recht ab. Für die Beaufsichtigung des Religionswesens in der Gesellschaft sowie die Pflege und Überwachung der Gotteshäuser wurde das Präsidium für religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Reisliği, heute Başkanlığı) errichtet. Die Religion spielte zur Zeit Kemal Atatürks im türkischen Staat eine untergeordnete Rolle, sie blieb allerdings in weiten Kreisen der Bevölkerung ein wichtiger Faktor. Seit der Einführung der Demokratie nach 1946 führte dies zu schrittweisen Änderungen, die ich in diesem kurzen Rahmen nicht näher behandeln kann.

In der Verfassung von 1961 wurde darauf bereits näher eingegangen, wenn es etwa heißt: „Jedermann besitzt die Fähigkeit des Gewissens, des religiösen Glaubens und der religiösen Überzeugung.
Andachtsübungen, religiöse Zeremonien und Feiern sind frei...
Religiöse Erziehung und Religionsunterricht sind allein an den eigenen Wunsch und bei Minderjährigen an den Wunsch ihrer gesetzlichen Vertreter gebunden.
Niemand darf in der Absicht, die soziale, wirtschaftliche, politische oder rechtliche Grundordnung des Staates, sei es auch nur teilweise, auf religiöse Normen stützen oder sich einen politischen oder persönlichen Vorteil oder Einfluss sichern, auf welche Weise es auch immer sei, die Religion oder religiöse Gefühle oder religiös für heilig gehaltene Dinge ausbeuten oder missbrauchen. Wer diesem Verbot zuwiderhandelt oder andere dazu aufhetzt, wird nach Maßgabe des Gesetzes bestraft; Vereine werden durch das zuständige Gericht, politische Parteien durch das Verfassungsgericht für immer verboten
.“

In einem Sondergesetz von 1965 werden auch die Aufgaben des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten beschrieben: Erledigung aller religiösen Angelegenheiten, welche sich auf die Glaubenssätze, den Gottesdienst und die sittlichen Grundsätze der islamischen Religion beziehen; Aufklärung der Bevölkerung über Religionsfragen; Verwaltung der Gotteshäuser.

Die Verfassung von 1982, die heute gültig ist, meint zu religiösen Fragen:

Art. 2: „Die Türkei ist ein ... laizistischer und sozialer Rechtsstaat.“

Art. 24: „Jedermann genießt die Freiheit des Gewissens und des religiösen Glaubens bzw. der religiösen Überzeugungen.
...
Die religiöse und ethische Erziehung bzw. der Unterricht finden unter der Aufsicht und Kontrolle des Staates statt. Der Unterricht in Religionskultur (din kültürü) und Ethik gehört an den Einrichtungen des elementaren und mittleren Bildungswesens zu den Pflichtfächern. Religiöse Erziehung bzw. Unterricht außerhalb dieser (genannten Schulen) ist ausschließlich vom Verlangen des einzelnen, bei Minderjährigen seines gesetzlichen Vertreters abhängig.“

Artikel 136 definiert neuerlich die Aufgaben der Diyanet, dieses Mal mit einem klaren Hinweis auf den Staat: „Das in die allgemeine Verwaltung übernommene Präsidium für religiöse Angelegenheiten hat die in seinem Sondergesetz aufgezählten Aufgaben gemäß des Grundsatzes des Laizismus unter Enthaltung politischer Ansichten und Meinungen und mit dem Ziel, die nationale Solidarität und Integration zu erfüllen.“

Sowohl die Verfassung von 1961 als auch von 1982 schützen ausdrücklich acht  zwischen 1924 und 1934 erlassene Reformgesetze, die sich mit religiösen oder traditionellen Einrichtungen befassen:
1. Vereinheitlichung des Unterrichts (1924)
2. Gesetz über das Huttragen (1925), gemeint ist die Einführung der westlichen Kleidung
3. Gesetz über die Schließung der Derwischklöster  und Mausoleen und das Verbot des Berufs eines Mausoleumwärters sowie die Aufhebung einiger Titel (1926)
4. Gesetz über die Ziviltrauung (1926, im Rahmen des Türkischen Zivilgesetzbuches), d.h. die offizielle Einführung der Monogamie
5. Gesetz über die Annahme der internationalen Ziffern (1928)
6. Gesetz über die Annahme und die Anwendung des türkischen Alphabets (1928)
7. Gesetz über die Aufhebung der Anreden und Titel wie Efendi, Bey, Paşa usw. (1934)
8. Gesetz über das Verbot bestimmter Trachten (1934), d.h. das Verbot religiöser Kleidung, wie auch die Verschleierung der Frauen, in der Öffentlichkeit.

Natürlich wurde diese Struktur hinterfragt, da es auch in der Türkei die Meinung gab, dass diese Behörde dem Prinzip des Laizismus widerspreche. Das türkische Verfassungsgericht hat bei seiner Entscheidung, dass dies nicht der Fall sei, sich auf folgende Begründungen gestützt:

1. Die Religion darf in staatlichen Angelegenheiten nicht vorherrschend eine Wirkung ausüben.
2. Jedem Individuum muss ohne Unterschied hinsichtlich seines geistlichen Lebens unbegrenzte Freiheit zugestanden werden; auf diese Weise wird die Religion unter den Schutz der Verfassung gestellt.
3. Missbrauch und Ausbeutung religiöser Gefühle sind verboten. Zum Zwecke des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Interessen müssen in Bezug auf Aktionen und Verhaltensweisen, die unter Überschreitung des geistigen Lebens des einzelnen Einwirkungen auf das gesellschaftliche Leben zeigen, Beschränkungen akzeptiert werden.
4. Dem Staat muss die Ermächtigung zur Kontrolle religiöser Rechte und Freiheiten zuerkannt werden, damit er als Beschützer der öffentlichen Ordnung und Rechte auftreten kann
.”

Ich zitiere hier den Präsidenten des Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten Prof. Dr. Ali Bardakoğlu aus einem Vortrag in Istanbul im vergangen Jahr.Er meinte damals auch, dass gerade auf diese Weise die Türkei bei den gegenwärtig stattfindenden Auseinandersetzungen über die Befreiung von Gewalt und Spannungen im Hinblick auf die Religion für Europa einen ganz wesentlichen Beitrag anzubieten habe.

Es ist das ein bedenkenswerter Ansatz, gerade in den heutigen Auseinandersetzungen um den Islam, lässt aber eine Reihe von innerislamischen Fragen wie etwa Rechte und Möglichkeiten von Aleviten, die doch zumindestens 20 % der türkischen Bevölkerung ausmachen ungeklärt. Viel mehr aber noch die Rolle der christlichen Kirchen, die in diesem Konzept eigentlich nicht wirklich vorkommen.

 

2. Die Kirchen in der Türkei heute

Darum möchte ich nun in einem zweiten Teil die heutigen Kirchen in der Türkei kurz vorstellen. Insgesamt gibt es ca. 100.000 Christen in der Türkei, bei nahezu 70 Millionen Einwohnern also ein Promille-Anteil der Bevölkerung.

Die einheimischen Kirchen

Die zahlenmäßig größte Gruppe ist die armenisch-apostolische Kirche mit ca. 65.000 Gläubigen. Ihr Mittelpunkt in der Türkei ist das Patriarchat in Istanbul-Kumkapı. Diese Kirche gehört zur Gruppe der altorientalischen oder vorchalcedonensischen Kirchen.

Die armenische Kirche in der Türkei ist in fünf Gebiete eingeteilt: Alt-Istanbul, europäischer Bosporus, anatolischer Bosporus, Prinzeninseln sowie Anatolien. Als sechstes Gebiet ist dem Patriarchat noch Kreta zugeordnet. Die armenisch-apostolische Kirche hat einige Schulen; es gibt ein armenisches Spital sowie zwei Waisenhäuser. Ihre Priesterausbildung erfolgt im Ausland.

Im 17. Jahrhundert hat sich aus einem damaligen Einheitsverständnis eine Gruppe Armenier mit Rom vereinigt, die armenisch-katholische Kirche, die heute in Istanbul ca. 3.000 Personen zählt. Es gibt einen armenisch-katholischen Erzbischof mit drei Weltpriestern sowie die Mechitaristen-niederlassung (eine Art armenischer Benediktiner) mit zwei Patres in Istanbul.

Ein ganz kleine Gruppe von armenisch-protestantischen Christen hat sich im 19. Jahrhundert entwickelt, die heute eher am Aussterben ist bzw. sich neu in türkische Freikirchen einbringt.

Bei der historisch wichtigsten Kirche habe ich das Problem, wie ich sie nenne, um in meinem Gastland keine Probleme zu bekommen. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel, wie es weltweit genannt wird, steht unter der Leitung von Patriarch Bartholomaios, der das Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Kirchen ist sowie die Iurisdiktionsgewalt für jene Orthoxen hat, die nicht direkt einem eigenen Patriarchat unterstehen. Damit kommt ihm kirchlich eine größere Bedeutung zu als es von der Größe her scheint. Für die staatliche türkische Sicht bringen aber sowohl der Begriff “ökumenisch” als auch der Ausdruck “Konstantinopel” Probleme, da in ihnen politische, vom Gesetz nicht gestattete Ambitonen gesehen werden. Gerade die Auseinandersetzungen um das Patriarchat von Jerusalem und die entsprechende Kirchensynode im Phanar haben auch zu Strafanträgen bei der Staatsanwaltschaft geführt, da ein solches “Şeriatsgericht” – so wurde das genannt – gegen Grundprinzipien des türkischen Staates stünden und sich im Gegensatz zu den Bestimmungen von Lausanne befänden.

Die konkrete Gemeinschaft in der Türkei ist heute mit ca. 2.000 Gläubigen klein, doch steht sie in der altehrwürdigen Tradition des Apostels Andreas. Die Gläubigen in der Türkei werden in die Metropolien von Chalcedon (Kadiköy), Derkoi, die Prinzeninseln sowie Imbroz und Tenedos unterteilt. Bis heute sind alle orthodoxen Metropolien, die zu keinem eigenständigen Patriarchat gehören, dem Ökumenischen Patriarchat zugeordnet, so auch der österreichische Metropolit Michael Staikos. Hier finden sich neben den griechischen Inseln Bischofssitze von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Skandinavien, den USA, aber auch Buenos Aires, Sydney, Wellington und Hongkong. Seit kurzem ist der Heilige Synod nicht mehr ausschließlich mit türkischen Staatsbürgern besetzt, sondern sechs dieser Sitze sind international besetzt, was ebenfalls zu staatlichen Irritationen führte.

Die arabisch-sprechenden orthodoxen Christen um Antakya unterstehen allerdings dem (orthodoxen) Patriarchat von Antiochien.

Die Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche des Westens stammen vor allem aus dem Gebiet des Tur Abdin im Südosten der Türkei, in dem noch die Sprache Jesu – Aramäisch – gesprochen wird. Viele sind von dort nach Istanbul gekommen. Es wird derzeit geschätzt, dass ca. 10.000 syrisch orthodoxe Christen in Istanbul und 3.000 im Tur Abdin leben. Der Türkische Staat fördert zur Zeit die Rückkehr von ins Ausland emigrierter syrischer Christen in ihre ehemaligen Dörfer. Ihre geistlichen Oberhäupter sind Metropoliten des syrischen Patriarchats von Antiochien, das seinen Sitz in Damaskus hat.

Die Gemeinde der unierten syrisch-katholischen Kirche hat ca. 1.200 Mitglieder, die von einem Chorbischof geleitet werden. Obwohl er selbst nicht Bischof ist, gehört er als Vertreter des Patriarchen auch der katholischen Bischofskonferenz der Türkei an. Er ist im übrigen der einzige Priester seiner Kirche in der Türkei. Als Gemeindezentrum und Kirche wird die frühere Jesuitenniederlassung von Istanbul, Sacre Coeur, genutzt.

Die Chaldäische Kirche, die der mit Rom unierte Zweig der syrisch-orthodoxen Kirche des Ostens ist, zählt zur Zeit ca. 1.000 Mitglieder, wobei bei ihnen immer wieder Menschen, die aus dem Irak kommen, Aufnahme finden. Die Gemeinde wird nach dem Tod des Erzbischofs vom einzigen chaldäischen Priester der Türkei, der nun ebenfalls den Titel eines Patriarchalvikars trägt, geleitet. Ihr Gottesdienstzentrum ist die Krypta der römisch-katholischen Kirche St. Anton. Die Mutterkirche, die Syrische Kirche des Ostens, ist in der Türkei nicht mehr durch Gemeinden vertreten.

Die Ausländerkirchen

Die römisch-katholische Kirche hat ca. 15.000 Mitglieder. Sie spiegelt die Weltkirche und zur Zeit werden in ihr 7 Sprachen gesprochen: Türkisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Englisch, Deutsch und Spanisch. Damit verbunden sind auch die verschiedensten Mentalitäten und Kirchenbilder aus den verschiedenen europäischen Herkunftsländern. Heute entwickelt sich das Türkische immer mehr in der Nachfolge des Französischen zur gemeinsamen Sprache. Doch gibt es nur mehr sehr wenige einheimische lateinische Christen, die sogenannten Levantiner. Viele Katholiken sind entweder als Entsandte, Wirtschaftstreibende oder Lehrer hier und kehren nach einigen Jahren in ihre Heimat zurück. Anders ist die Situation der vor allem deutschsprachigen Frauen, die in die Türkei geheiratet haben, der vor allem philippinischen Hausangestellten oder der afrikanischen Studenten und Flüchtlinge. Sie alle stehen in verschiedenartigen Beziehungen zu diesem Land (Länge und Art des Aufenthaltes, finanzielle Situation, Rückbindung zum Heimatstaat). Ähnlich ist es mit dem Klerus, fast alle Priester und Ordensleute kommen durch ihre Gemeinschaften, die in der Türkei ihre Werke aufgebaut haben, aus Europa.

So ist der Bischof, der apostolische Vikar von Istanbul, dessen Vikariat den Norden der Türkei mit Istanbul und Ankara umfasst, französischer Assumptionist  und der Generalvikar italienischer Dominikaner. Überdies gibt es nur 2 Weltpriester im Apostolischen Vikariat Istanbul.

Der Südwesten der Türkei entspricht katholischerseits dem Erbistum Izmir, das vor allem französisch- und italienischsprachig dominiert ist mit einigen Hundert Katholiken.

Im Südosten wurde die jüngste der drei römisch-katholischen Diözesen von italienischen Kapuzinern in Mersin gegründet, die zahlenmäßig ebenfalls ganz klein ist. Man meint allerdings, dass sich auch Nachfahren früherer Christen noch neu finden könnten.

Die katholische Bischofskonferenz umfasst somit 6 Mitglieder: drei römisch-katholische, den Apostolischen Vikar von Istanbul, den Erzbischof von Izmir und den apostolischen Vikar vonAnatolien/Iskenderun, sowie drei unierte,  den armenisch-katholischen Erzbischof von Istanbul und den syrisch-katholischen und chaldäischen Patriarchalvikar.

Der Apostolische Nuntius in Ankara wird von der Türkei als Vertreter eines anderen Staates, nämlich des Heiligen Stuhls, nicht aber als kirchliche/religiöse Vertretung gesehen.

Die evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei hat erst 2001 ihr 140-jähriges Bestehen gefeiert. Sie wurde in Istanbul gegründet, um deutschen evangelischen Christen zunächst eine religiöse Heimat, aber dann auch schulische und ärztliche Betreuung zu geben. Heute besteht die evangelische Gemeinde vor allem aus Entsandten, Wirtschaftstreibenden, Lehrern und den in Istanbul verheirateten Frauen.

Auch sind mehrere englisch-sprachigeKirchen der Reformation in Istanbul vertreten: Die anglikanische Kirche hat ihr Zentrum in der Krimkirche in der Nähe der Deutschen Schule sowie im Britischen Generalkonsulat. Die Presbyterianische Kirche kommt aus Amerika. Die Union Church – ein Zusammenschluß amerikanischer und australischer Freikirchen – betreut die Dutch Chapel im Niederländischen Generalkonsulat.

Vor allem von nordamerikanischen und koreanischen Freikirchen unterstützt entwickelten sich in den letzten Jahren auch türkische Freikirchen, deren Aktivitäten sich oft am Rande der gesetzlichen Möglichkeiten bezüglich des in der Türkei bestehenden Verbotes über Aktivitäten, die die nationale Einheit gefährden, bewegen. Hier stehen sie auch oft in scharfem Gegensatz zu den alten einheimischen Kirchen.

3. Rechtliche Probleme der Kirchen in der Türkei

In einem dritten Teil möchte ich die aktuellen rechtlichen Probleme dieser Kirchen kurz ansprechen.

Grundsätzliches zum Rechtsstatus

Die Kirchen der Türkei haben einen sehr unterschiedlichen Rechtsstatus und unterschiedliche kirchliche Ordnungsstrukturen, die gesucht wurden, um den Kirchen eine Trägerschaft zu geben.

Bis zum Beginn neuer rechtlicher Verbesserungen, die zur Zeit angestrebt werden, läßt sich die rechtliche Stellung der Kirchen in etwa so einteilen:

Im Sinne des Vertrages von Lausanne wurden als nicht-muslimische Minderheiten anerkannt:
- Armenier
- Bulgaren
- Griechen
- Juden.

Aber keine dieser Gruppen hat in der Republik Türkei trotz dieser Anerkennung und des de facto Bestandes als Kirche bzw. Religionsgemeinschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit.
Dies ergibt rechtliche und praktische Probleme in Bezug auf Ämter und das Funktionieren der entsprechenden Institutionen.

Nicht im Sinne von Lausanne als Minderheit anerkannt sind alle anderen Kirchen, die vor Beginn der Republik in der Türkei präsent waren und daher einfach weiter existieren. Bis vor kurzem gab es für sie kaum eine Möglichkeit, irgend eine Änderung ihres Standes von 1914 durchzuführen.

Eine dritte Gruppe bilden die neuen Freikirchen.

Dieser bisherige Fixierung auf 1914 führte auch innerhalb der Kirchen zu verschiedenartigen Regelungen, die nichts mit dem kirchenrechtlichen Status zu tun hatten. Ich möchte das an einem katholischen Beispiel aufzeigen:

Die (österreichische) römisch-katholische St. Georgs-Kirche, an der kirchenrechtlich keine eigene Pfarre errichtet ist, bestand schon vor 1914, und somit war es bisher kein Problem (außer die üblichen administrativen Probleme, die jeder in der Türkei hat), für die Tätigkeit an dieser Kirche eine Arbeitserlaubnis und damit auch die Aufenthaltsgenehmigung für einen Priester oder eine Ordensschwester zu bekommen.

Die seit den 50er-Jahren bestehende deutsche St. Paulsgemeinde wurde zwar 1985 kirchenrechtlich als Personalpfarre errichtet. Vor dem türkischen Staat existiert St. Paul allerdings nur in Form einer Aktiengesellschaft, da damals keine andere Gründungsform möglich war, und so wurde für den Seelsorger bis zum vergangenen Jahr die pragmatische Lösung  als Verwaltungsbediensteter beim deutschen Generalkonsulat gewählt. Nun sucht man neue Lösungen nach einem neuen Muster der türkischen Südküste. Der neue Pfarrer in Istanbul ist als zum ersten Mal als Priester genehmigt, er hat allerdings keine rechtlich existente Gemeinde.

Für eine neue Gemeinde in Antalya bekam zuvor ein katholischer deutscher Priester nach intensiven diplomatischen Bemühungen Deutschlands und der Niederlande eine Arbeitsgenehmigung als Priester, obwohl dort keinerlei Kirche bestand. Die Gemeinde ist  vor dem Gesetz als Verein organisiert, mit sehr mühevoll organisierten Statuten. Da man eine Lösung gewähren wollte, wurden Erlaubnisse erteilt, die nach dem türkischen Vereinsrecht gar nicht zulässig sind und von daher auch leicht widerrufen werden können. Das ist schon ein erster Anfang, lässt aber längerfristig noch sehr viele Fragen offen.

Die evangelische Gemeinde wurde als Kirche der preußischen Botschaft 1861 gegründet (dafür gibt es auch einen Ferman), aber da die Besitzfrage im Grundbuch nicht geregelt werden kann, ist auch die Struktur dieser Gemeinde ungeklärt und der Pfarrer ein Angestellter des deutschen Generalkonsulates. Auch hier wartet man auf zukünftige Lösungen.

Besitzfragen der Kirchen

Die Unterschiede in der Behandlung durch den Staat haben in erster Linie damit zu tun, wer der Träger für den Besitz von nicht-muslimischen Minderheiten ist:


‑ eine Stiftung,
‑ eine juristische Person,
‑ eine natürliche Person.

Als Eigentümer der Liegenschaften der vom türkischen Staat im Sinn von Lausanne anerkannten Minderheiten, aber auch einiger anderer Christen wie der Chaldäer, der syrisch-katholischen und der syrisch-orthodoxen Christen treten meist Gemeindestiftungen (cemaat vakıflar) auf. Für diese wurden in den letzten Jahren  Gesetzesnovellierungen geschaffen, die Hoffnungen weckten, aber deren praktische Durchführung in manchen Punkten höchst unbefriedigend ist. Das betrifft vor allem die Rückgängigmachung von Verfallserklärungen an den türkischen Staat mangels dem türkischen Recht entsprechenden Besitzern. Das griechische Patriarchat hat erst vor wenigen Tagen wegen eines ehemaligen Waisenhauses Klage beim Europäischen Gerichtshof eingebracht.

Diese neuen gesetzlichen möglichen zukünftigen Regelungen beziehen sich allerdings auf die „einheimischen“ Kirchen, nicht die römisch-katholische oder die Kirchen der Reformation. Für sie ergaben sich bis jetzt keine praktikablen Lösungen, da sie über keine Gemeindestiftungen verfügen.

Zur Frage der Sprachen

Ein weiteres Problem ist die Nutzung anderer Sprachen als des Türkischen, da die Liturgiesprache aller Christen außer der neuen türkisch-protestanischen Kirchen nicht türkisch ist.

Von der Sprachfrage waren vor allem die syrischen Kirchen betroffen, da sie  bisher nicht das gesicherte Recht hatten, ihre Kinder und Jugendlichen in ihren Muttersprachen bzw. der Liturgiesprache zu unterrichten. Seit den 2003 verabschiedeten Gesetzesänderungen ist zwar das Unterrichten dieser Sprachen möglich geworden, allerdings unter Bedingungen, die derzeit nur schwer erfüllt werden können. Man wird sehen, wie die konkrete Umsetzung stattfindet.

Änderungen im Baugesetz

Konkret geändert wurde 2003 auch das Baugesetz von 1985, nach dem zuvor nur Moscheen gebaut werden konnten. Der Begriff „Moschee“ wurde durch „Gebetsstätte“ ersetzt. Der Anstoß zur Novellierung dieses Gesetzes kam auch vom wachsenden Tourismus an der Südküste. Vor allem für ältere Touristen gehört eine Kirche mit zur Infrastruktur. Dies wurde aufgegriffen. Schwierig bleibt es allerdings, wenn es um die konkreten Definitionen der Bedingungen wie Bedarf, Größe oder Mitspracherecht der Konfessionen geht. Kernfrage ist dabei wieder, wer einen Antrag auf Errichtung einer Kirche stellen kann. Die Kirchen selbst sind derzeit dazu nicht rechtsfähig. Erschwert wird auch diese Frage durch innerislamische Auseinandersetzungen im Hintergrund, etwa dahingehend dass ein alevitisches Cem Evi zwar als Versammlungsort erlaubt ist, keinesfalls aber als Gebetsstätte mit den entsprechenden Rechten eingestuft wird.

 

Ausbildung von Geistlichen/Personal

Ein weiteres Problemfeld ist die Ausbildung von Geistlichen, dies vor allem für die einheimischen Kirchen, die ja nicht wie die ausländischen Kirchen Amtsträger aus dem Ausland importieren dürfen. Patriarch Bartholomaios fordert immer wieder die Eröffnung der theologischen Hochschule von Heybeli/Halki, die 1971 geschlossen wurde. Aber auch das armenische Patriarchat hofft auf eine geregelte Ausbildung, da auch seine Hauslehranstalt 1970 geschlossen wurde. Es gab zwar viel Bewegung in dieser Frage, aber bis jetzt keine Lösung, und der Nationale Sicherheitsrat der Türkei hat erst kürzlich eine negative Stellungnahme zur Wiedereröffnung einer kirchlichen Lehranstalt in Heybeli veröffentlicht, da dies im Widerspruch zu den Gesetzen über die einheitliche nationale Erziehung stehe.

Daher wurde das kirchliche Personal zu einem weiteren Problemfeld, das teilweise wieder pragmatisch gelöst wird, indem Geistliche als Touristen einreisen oder auch offiziell andere Berufe ausüben. Das wird zwar häufig toleriert, entspricht aber nicht den Gesetzen und bringt die Kirchen oft in sehr unzufriedenstellende Positionen.

Wenn man die Fragen der Kirchen in einen Satz zusammenfassen wollte, müßte man sagen, dass das grundlegende Problem der christlichen Kirchen in der Türkei in der fehlenden Rechtspersönlichkeit ihrer Institutionen wurzelt. Die Türkei wiederum sieht Forderungen nach einer solchen Rechtspersönlichkeit bis jetzt als grundsätzlich unannehmbar, weil es noch ungeklärte Auswirkungen auf islamische Organisationen und Institutionen hätte. Diese Forderung der Kirchen ist für den türkischen Staat gleichsam eine Pandorabüchse, die er auf keinen Fall öffnen will.

Initiativen der letzten Jahre

Im Rahmen der Vorbereitungen für die EU-Verhandlungen wurden einige Initiativen gesetzt, die so genannten Harmoniegesetze des türkischen Staates. Ich habe einiges davon bereits erwähnt. Es gab aber auch Initiativen der betroffenen Religionsgemeinschaften. Einiges aus dieser Diskussion möchte ich hier vorstellen.

In einem an den Ausschuss für Menschenrechte der türkischen Nationalversammlung gerichteten Offenen Brief  Zur Frage der religiösen Bedürfnisse von christlichen und nicht-islamischen Minderheiten in der Türkei, der in Kopie auch an das Büro des Ministerpräsidenten, das Innenministerium, das Außenministerium,  das Ministerium für besondere Aufgaben mit Zuständigkeit für Religionsfragen und die Stiftungsgeneraldirektion geschickt wurde, haben
das griechisch-orthodoxe Ökumenische Patriarchat,
das armenisch-orthodoxe Patriarchat von Istanbul,
die syrisch-orthodoxe Kirche
und die katholische Kirche
am 23.September 2003 auf ihre fortbestehenden Schwierigkeiten hingewiesen. In diesem Brief stellen die Kirchen fest, dass es unerlässlich ist,

die Rechtspersönlichkeit aller christlichen Patriarchate und Kirchen anzuerkennen und dabei sämtliche juristischen Hürden zu beseitigen, die sie behindern.

die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, die zur Unterrichtung und zur Ausbildung der Kirchendiener nötig sind und die für die Erfüllung der religiösen Bedürfnisse der Christen einerseits und insgesamt für die Existenz des Christentums in der Türkei unverzichtbar sind.

all jenen Kirchenleuten die türkische Staatsbürgerschaft zuzuerkennen, die aus dem Ausland eingeladen werden oder die sich bereits im Land befinden, um den religiösen Bedürfnissen der Christen zu dienen.

einem ad hoc zu schaffenden Ministerium die Zuständigkeit dafür zu erteilen, sich um die Probleme der Minderheiten zu kümmern und dafür in Frage kommende Lösungen zu prüfen. (Gemeint ist also ein Kultusamt anstelle des Präsidiums und der Stiftungsdirektion mit neutraler Haltung zu verschiedenen Religionen)

dafür zu sorgen, dass öffentliche und nicht-öffentliche Einrichtungen und Organisationen es unterlassen, Christen und Nicht-Muslimen – die selbstverständlich Staatsbürger dieses Landes sind – als eine für die Sicherheit des Landes gefährliche gesellschaftliche Gruppe zu betrachten.

allen bereits bestehenden oder noch zu gründenden Einrichtungen oder Kirchen das Recht zuzuerkennen, Immobilien zu erwerben, die der Befriedigung der religiösen Bedürfnisse der Christen dienen. Darüber hinaus muss dafür gesorgt werden, dass die Gebetsstätten und die Gebäude, die den christlichen Gemeinden aus verschiedenen Gründen entzogen worden sind, wieder an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden.

in jeder türkischen Stadt, in der Christen leben, den „Betrieb” mindestens einer Kirche zu genehmigen, um den religiösen Bedürfnissen der Gläubigen Rechnung zu tragen.

In einem Memorandum vom 5.7.2002 an die Botschafter der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über Die Situation der Katholischen Kirche in der Türkeihatte das vatikanische Staatssekretariat bereits darauf hingewiesen, welche Folgen sich aus der fehlenden rechtlichen Anerkennung der katholischen Kirchen ergeben:

„a) die Diözesen, Pfarreien und religiösen Institute der katholischen Minderheiten erfreuen sich keiner rechtlichen Anerkennung durch den Staat;

b) ihre Verantwortlichen – Bischöfe, Pfarrer, Obere – und ihr religiöses Personal sind nicht als Religionsdiener anerkannt;

c) ihre Eigentumsrechte an Liegenschaften – Kirchen, Konventen, Schulen, Krankenhäusern – sind nicht als solche anerkannt, es sei denn, sie sind auf Privatpersonen oder private Stiftungen eingetragen; im Falle des Todes dieser Personen oder des Erlöschens dieser Stiftungen und im Falle fehlender Erbfolge werden diese Liegenschaften vom Staatsschatz konfisziert.

d) die nicht anerkannten Minderheiten können keine Gebetsräume errichten, keine konfessionellen Schulen und keine Seminare für die Ausbildung ihres Klerus eröffnen;

e) das ausländische religiöse Personal ist einem speziellen Verfahren hinsichtlich der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen unterworfen, die auf ein Jahr beschränkt sind, während andere ausländische Residenten aus europäischen Ländern Aufenthaltsgenehmigungen für drei oder fünf Jahre bekommen.“

In einem weiteren Memorandum an die Botschafter der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über Die Frage der Religionsfreiheit und die Anerkennung der nichtmuslimischen Minderheiten schrieb das vatikanische Staatssekretariat am 21.9.2002 unter Ziffer 4,

Vor diesem Hintergrund wendet sich der Heilige Stuhl im Hinblick auf die nächste Überprüfung der Kandidatur der Türkei erneut an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Es erscheint außerordentlich wünschenswert, dass diese Nation, die sich in ein Europa integrieren will, das die kulturelle und religiöse Vielfalt achtet, mit Nachdruck dazu eingeladen wird ihre Rechtsreformen dadurch zu vollenden, dass sie alle religiösen Minderheiten, die auf ihrem Boden vertreten sind, ausdrücklich anerkennt und ihnen den Rechtsstatus zuerkennt, den sie Legitimerweise beanspruchen können.

In einem Memorandum des Außenministeriums der Republik Türkei an das vatikanische Staatssekretariat vom 20.12.2002 164, das die beiden Memoranden des vatikanischen Staatssekretariats vom 5.7.2002 und vom 21.9.2002 beantwortet, wird festgestellt:

Die nicht-muslimischen Minderheiten der Armenier, Griechen und Juden, die innerhalb der monarchistisch-theokratischen Struktur des Osmanischen Reiches als „Nationen” organisiert waren, genießen die in den Artikeln 35 bis 45 des Friedensvertrages von Lausanne enthaltenen Garantien.“

Weiter wird im genannten Memorandum ausgeführt:

Die Anerkennung eines Rechtsstatus einer ‚Gemeinschaft’ oder einer ‚religiösen Gruppe’ wie der der Gläubigen der Katholischen Kirche ist unvereinbar mit dem in der Verfassung verankerten Prinzip des laizistischen Staates, das nach den Festlegungen der selben Verfassung nicht geändert werden und gegen das auch nicht die Verfassungswidrigkeit vorgebracht werden kann. Die Türkei hat keine vertragliche Verpflichtung gegenüber der Katholischen Kirche oder irgendeiner anderen‚ ’Gemeinschaft’, die die Anerkennung eines Rechtsstatus vorsehen würde. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der fragliche ‚Rechtsstatus’ auch in einigen europäischen Ländern nicht zuerkannt ist.

Da das Laizismus-Prinzip der Republik Türkei nicht erlaubt, irgendeiner ‚Religionsgemeinschaft’ einen Rechtsstatus zuzuerkennen, ist es auch nicht möglich den Gebetsstätten wie Moscheen, Kirchen oder Synagogen Rechtspersönlichkeit nach Maßgabe des Zivilgesetzbuches oder des Vereinsgesetzes zuzuerkennen. Es ist weder gerechtfertigt, noch angemessen von der Türkei, deren Bevölkerung zu 99% dem islamischen Glauben angehört, zu erwarten, das sie der Katholischen Kirche Rechte zugesteht, die die islamischen Institutionen nicht genießen.“

In einem Memorandum der Katholischen Bischofskonferenz der Türkei vom 10. Juni 2004, das dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan am 23.Juni 2004 überreicht wurde, wird zu den Feststellungen des Memorandums des türkischen Außenministeriums vom 20.12.2002 wie folgt Stellung genommen:

Der in der osmanischen Periode katholischen religiösen und wohltätigen Einrichtungen durch firmane [imperiale Dekrete] verliehene Status ist durch Briefe, die im Zusammenhang mit dem Vertrag von Lausanne ausgetauscht worden sind, bestätigt worden. Und nachdem das Prinzip Laizismus von der Republik Türkei mit der Verfassung von 1928 als Verfassungsprinzip angenommen wurde, wurde durch Artikel 3 des Grundbuchgesetzes vom 29.Dezember 1934, veröffentlicht im Staatsanzeiger Nr. 2892, erklärt, dass alle Liegenschaften der religiösen Institutionen im Namen ihrer juristischen Person registriert werden sollten, unabhängig davon, ob diese ein Recht zur Registrierung von Liegenschaften hätten oder nicht.

Dieses Gesetz gilt auch weiterhin, weshalb es ein Akt zweifelhafter Gesetzmäßigkeit ist, zu behaupten, dass diese Institutionen keine Rechtspersönlichkeit hätten, und ihre Liegenschaften zu konfiszieren, gleichwohl dieses Gesetz vor mehr als einem halben Jahrhundert verabschiedet wurde.

Darüber hinaus müssen wir darauf hinweisen, dass in keinem westlichen Land das Problem der Nichtanerkennung des Rechtsstatus der Katholischen Kirche und ihrer Institutionen besteht. Laizismus bedingt die Trennung von Staat und Kirche, aber in keinem Land der Europäischen Union hat dies die Nichtanerkennung religiöser Einrichtungen als juristische Personen bzw. die Nichtanerkennung ihrer erworbenen Rechte zur Folge.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Vatikan, als Vertreter der Katholischen Kirche, von der laizistischen Republik Türkei, von den Ländern der Europäischen Union oder von irgendeinem anderen muslimischen Land keinen Modus Vivendi oder einen Sondervertrag verlangt, der der Katholischen Kirche Sonderrechte einräumt. Er verlangt lediglich die Anerkennung von Rechten, die sich aus europäischem und internationalem Recht ergeben, ein mehr als befriedigendes Niveau erreicht haben und es der Katholischen Kirche ermöglichen, durch ihre Werke für ihre eigene Gemeinschaft und die Menschheit tätig zu werden.

Konkret kann dies wieder am Beispiel von St. Georg illustriert werden. Als Superior und damit auch Vertreter des Schulerhalters legte ich zusammen mit dem österreichischen Botschafter in Ankara im Frühjahr 2004 bei Botschafter Volkan Bozkır, Stellvertretendem Staatssekretär im Außenministerium der Republik Türkei, eine Anfrage zu einer tragfähigen Rechtsform für das gesamte St. Georgs-Werk vor.

Nach einleitenden Absätzen über die Geschichte des Werkes und die Entwicklungen Österreichs und der Türkei führte ich aus:

Es gibt für ausländische Christen in der Türkei nach unserer Erfahrung keinerlei Einschränkungen in der persönlichen Glaubensausübung. Es gibt aber viele Probleme in der Frage kollektiver Rechte. So ist einerseits die St.Georgs-Kirche als seit Jahrhunderten bestehende Kirche nicht in Frage gestellt; gleichzeitig existiert sie aber rechtlich nicht, da der Träger, die österreichische Ordensgemeinschaft der Lazaristen, in keiner Weise rechtlich auftreten kann.

Ebenso sind Schule und Spital den entsprechenden Ministerien gegenüber zwar Träger dieser Institutionen, haben aber kein Besitzrecht an ihren Werken und müssen das durch österreichische Treuhänder wahrnehmen. Das ist mit komplizierten und teuren Erbschaftsabwicklungen verbunden, aber auch mit existentiellen Sorgen für das Werk, falls einer der österreichischen, treuhänderischen Besitzer in Österreich in finanzielle Schwierigkeiten (Konkursverfahren) geraten sollte. Wir würden dringend wünschen, dass es hier eine Möglichkeit gäbe, diese Fragen in einer für die Türkei gültigen Rechtsform zu lösen.

Wünschenswert wäre eine rechtliche Anerkennung des Trägers, der in Österreich den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts besitzt. Es ist uns bewusst, dass von der Laizismus-Auffasssung sich für die Türkei Probleme ergeben. Wir bitten daher das türkische Außenministerium, uns einen Weg zu zeigen, wie innerhalb gültiger Regelungen der Türkei eine für das europäische Rechtssystem passende Form gefunden werden könnte.“

Die Antwort der Republik Türkei entspricht nun dem zuvor Referierten, dass in der Türkei Religionsgemeinschaften keine Rechtspersönlichkeit besitzen können. Zur Lösung des Problems sieht die Türkei nur die Gründung eines Vereins oder einer Stiftung.

Ein Verein im türkischen Sinne entspricht kaum dem kirchlichen Denken bzw. einer kirchlichen Rechtstruktur, vor allem deshalb, weil nur schwer ein Zusammenhang zwischen kirchlichem Träger und türkischer Struktur längerfristig garantiert werden kann.

Das gilt grundsätzlich auch für die Variante der Stiftung, mit der die einheimischen Kirchen in der Vergangenheit doch recht negative Erfahrungen hatten. Zurzeit ist gerade ein neues Stiftungsrecht in Ausarbeitung, das wir aufmerksam verfolgen. Entscheidend wird allerdings die praktische Umsetzung sein, die auch weitgehend davon abhängt, unter welcher staatlichen Aufsicht diese Stiftungen stehen. Hier sind noch viele Fragen zu klären.

Um eine tragfähige Lösung für die Besitzfragen der Kirchen/ Religionsgemeinschaften zu finden, haben die Kirchen auch neue Ideen entwickelt. So wurde im Herbst 2003 unter Federführung des bekannten Istanbuler Rechtsprofessors Hüseyin Hatemi ein neues Gesetz für Gemeindestiftungen vorgeschlagen.

Durch dieses wäre den jeweiligen religiösen obersten Institutionen, also den Kirchen bzw. dem Oberrabbinat Rechtspersönlichkeit verliehen worden und diesen hätte man dann die bestehenden Gemeindestiftungen zuordnen können, ohne die Frage der Rechtspersönlichkeit für eine Vielzahl von Institutionen aufzugreifen. Auch wenn die westlichen Kirchen gegenwärtig keine solche Gemeindestiftungen besitzen und auch die innerkirchlich-selbstbestimmten Strukturen der einzelnen Kirchen der Reformation in diesem Konzept wenig berücksichtigt sind, hätte man auf diese Weise grundsätzlich einen Zugang zur Frage der Rechtspersönlichkeit der Religionsgemeinschaften gefunden. Doch dieser Vorschlag wurde zurückgewiesen, da auch er nicht mit dem Prinzip des Laizismus vereinbar sei.

Somit befinden wir uns in der Türkei als kirchliche Institutionen weiterhin auf einem steinigen Weg. Es wird vieles überlegt und gearbeitet, doch die beiden Schlüsselbereiche sind meines Erachtens die Frage der Rechtspersönlichkeit der Religionsgemeinschaften bzw. das Laizismusprinzip der Türkei, das sich von den europäischen Konzepten sehr unterscheidet.

Im Gegensatz zu vielen Stimmen in Europa erklären alle Kirchen der Türkei immer wieder, dass sie große Hoffnungen in den EU-Beitritt der Türkei setzen.
Es ist hier nicht meine Aufgabe, über wirtschaftliche Kriterien und ähnliche Aspekte zu sprechen. Das geschieht ja auch in vielfacher Weise.
Als Christ in der Türkei muss ich sagen, dass ich einen solchen Schritt ebenfalls sehr unterstütze. Die Türkei ist ein Land mit großer Wandlungsfähigkeit und starker Entschlossenheit. Das haben die zwei Jahrzehnte des Kemal Atatürk im vorigen Jahrhundert exemplarisch gezeigt. In den letzten Jahren hat ein wirklicher Wandel im innertürkischen Bereich, vor allem auch in einer immer entschlossener auftretenden Zivilgesellschaft stattgefunden. Zurzeit ändert sich in der Europäischen Union sehr viel und es mag sein, dass in einigen Jahren die jetzt von der Türkei erwünschte Gemeinschaft gar nicht mehr in dieser Form besteht.

Ich stimme namhaften türkischen Kommentatoren zu, dass gegenwärtig die Türkei dennoch die Zukunft selbst in der Hand hat. Wenn mein Gastland die Reformschritte, die begonnen wurden, mit Entschlossenheit weiterführt und theoretische Reformen auch tatsächlich umsetzt, wird Europa gar nicht anders können, als ein solches Land willkommen zu heißen. Ich frage mich allerdings manchmal, ob nicht dann die Türkei in diesen kommenden Jahren nicht selbst manche Fragezeichen im Hinblick auf eine uneingeschränkte Mitgliedschaft stellen wird.

Ich habe einen kleinen Bereich der heute in meinem Gastland zu behandelnden Fragen  angeschnitten. Für mich selbst ist diese ständige Herausforderung manchmal auch ermüdend und bringt zeitweise durchaus auch schlaflose Nächte, wenn man immer wieder gefragt ist, wie man in doch grundsätzlichen Fragen die richtigen Schritte setzt. Ich bin allerdings persönlich sehr dankbar, dass ich durch die Entsendung durch meine Gemeinschaft mehr als die Hälfte meines Lebens in der Türkei verbringen durfte. So habe ich mich gefreut, Ihnen heute etwas aus diesem Bereich vorstellen zu dürfen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Hofrat Dir. Mag. Franz Kangler CM, Istanbul

 

Quellen:

Bardakoğlu Ali, Der Aufbau und die Funktion des Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet). In: Islam, Staat und moderne Gesellschaft in der Türkei und in Europa. Konferenzberichte. Hg.: Konrad Adenauerstiftung e.V. Ankara, 2005. Seite 1-19.

Dörler Elisabeth, Verständigung leben und lernen. Die Herausforderung der türkischen Muslime an die katholische Erwachsenenbildung in Vorarlberg. Feldkirch, 2003.

Dörler Elisabeth, Pluralismusfähigkeit der katholischen Kirche im interreligiösen Kontext, Vortrag im Rahmen des CMF Istanbul-St. Georg, 2005

Dörler Elisabeth, Religionsfreiheit im Kontext von Christentum und Islam. Vortrag  bei der Fachtagung der Evangelischen Akademie zu Berlin in Kooperation mit dem Islamisch-Christlichen Arbeitskreis (ICA) am 6.9.2004.

Katholische Kirche hofft auf rechtliche Anerkennung in der Türkei. Kathpress. 28.7.2004.

Kramer Heinz, Die Türkei und die Kopenhagener Kriterien. SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik. Deutsches Institut für internationale Politik und Sicherheit. S 39. November 2002. Berlin.

Oehring Otmar, Zur Lage der Menschenrechte – Die Türkei auf dem Weg nach Europa – Religionsfreiheit? Menschenrechte Nr. 20. Hg: Internationales Katholisches Missionswerk e.V. Aachen, 2004.

Orth Stefan, Umsetzung folgt? Die Christen in der Türkei merken bisher nur wenig von den Reformen. Aus: Herder Korrespondenz 57, 11/2003. S. 568-572

Ratzinger skeptisch zu Aufnahme der Türkei in die EU. Kathpress. 12.8.2004.

Seufert Günter, Neu pro-islamische Parteien in der Türkei. SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik. Deutsches Institut für internationale Politik und Sicherheit. S 6. März 2002. Berlin.

Türkei: Papst fordert rechtliche Anerkennung der katholischen Kirche. Kathpress. 22.2.2004.

Türkische katholische Bischöfe bei Ministerpräsidenten Erdogan. Kathpress. 25.6.2004.