Die Vielfalt der Kirchen der Türkei heute

v. Elisabeth Dörler, April 2007

 

In diesem Beitrag soll kurz die heutige Situation der bestehenden 16 unterschiedlichen Kirchen beschrieben werden.      
Insgesamt gibt es ca. 100.000 bis 150.000 Christ/innen in der Türkei.

 

Einheimische Kirchen

 

Die zahlenmäßig größte Gruppe ist die armenisch-apostolische Kirche mit ca. 70.000 bis 90.000 Gläubigen. Ca. 20.000 davon leben nicht registriert in der Türkei, auch als Flüchtlinge aus Armenien. Ihr Mittelpunkt ist in Istanbul das Patriarchat in Kumkapı. Der noch relativ junge Patriarch Mesrop Mutafyan versucht seine Gemeinschaft aus politischer und pastoraler Sorge gut weiterzuführen. Das Oberhaupt aller Armenier ist aber nicht dieser Patriarch, sondern der Katholikos mit Sitz in Edschmiadzin.

Heutige Sorgen sind neben Organisations- und Besitzfragen die Sprache, da im Gottesdienst immer noch die armenische Sprache des 4. Jahrhunderts gesprochen wird. Dazu kommt, dass vor allem jüngere Leute Probleme mit dem heutigen Westarmenisch haben, da ihre Umgangssprache vor allem Türkisch ist. Armenische Schulen sind durch den Vertrag von Lausanne erlaubt. Allerdings gibt es keine Ausbildungsstätten für die Westarmenische Sprache oder für armenische Theologie, da durch die Schließung der Privatuniversitäten 1970 auch die Hauslehranstalt des Armenischen Patriarchates betroffen war. (In Edschmiadzin wird Ostarmenisch gesprochen.)

Die Türkei ist in fünf Gebiete eingeteilt: Alt-Istanbul, europäischer Bosporus, anatolischer Bosporus, Prinzeninseln sowie Anatolien. Als sechstes Gebiet ist dem Patriarchat noch Kreta zugeordnet. Eine Besonderheit der armenischen Kirche sind 20 in Istanbul bestehende Kirchenchöre mit einer eigenständigen Kirchenmusik. Die armenisch-apostolische Kirche hat einige Schulen; es gibt ein armenisches Spital sowie zwei Waisenhäuser. Neben zwei Tageszeitungen (Jamanak und Nor Marmara) werden auch mehrere Zeitschriften in armenischer Sprache in kleinen Auflagen gedruckt.

Im 17. Jahrhundert hat sich aus einem damaligen Einheitsverständnis eine Gruppe Armenier mit Rom vereinigt, die armenisch-katholische Kirche, die heute in Istanbul ca. 3.000 Personen zählt. Es gibt einen armenisch-katholischen Erzbischof mit einem libanesischen Weihbischof, der noch auf sein Visum für die Türkei wartet, und drei Weltpriestern sowie die Mechitaristenniederlassung (eine Art armenische Benediktiner) mit zwei Patres, die in Österreich studiert haben.

 

Das Ökumenische Patriarchat im Phanar am Goldenen Horn steht unter der Leitung von Patriarch Bartholomaios I, der das Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Kirchen ist. Damit kommt ihm weltweite Bedeutung zu, so war Patriarch Bartholomaios z.B. beim Friedensgebet in Assisi Seite an Seite mit dem Papst, da er für die Orthodoxie steht.

In der Türkei hat der Ökumenische Patriarch mit diesem Titel Probleme, da dieser vom Staat nicht anerkannt wird. Begründung ist, dass mit der Bezeichnung “Konstantinopel” griechische Ansprüche auf diese Stadt vertreten würden und dass aus dem kircheninternen Anspruch “ökumenisch”, sich ein Anspruch auf einen Kirchenstaat nach dem Muster des Vatikans erhoben würde.

Die konkrete Gemeinschaft in der Türkei ist heute mit ca. 2.000 Gläubigen klein, doch stehen sie in der Tradition des altehrwürdigen griechischen Patriarchates von Konstantinopel. Die Gläubigen in der Türkei werden in die Metropolien von Chalcedon (Kadıköy), Derkoi, die Prinzeninseln sowie Imbroz und Tenedos unterteilt. Die Mitglieder des heiligen Synods tragen Titularsitze aus der Türkei wie Perge oder Myra. Bis heute sind alle orthodoxen Metropolien, die zu keinem eigenständigen Patriarchat gehören, dem Ökumenischen Patriarchat zugeordnet, so auch der österreichische Metropolit Michael Staikos. Hier finden sich neben den griechischen Inseln Bischofssitze von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Skandinavien, den USA, aber auch Buneos Aires, Sydney, Wellington und Hongkong. Auch diese Kirche bedauert es, keine eigenen Ausbildungsstätten für Theologen hier führen zu können und hofft auf die Möglichkeit, die Theologische Hochschule in Chalki/Heybeli, die bis 1971 bestand, wieder eröffnen zu können.

Praktisch zugeordnet in konkreten Fragen sind dem griechisch-orthodoxen Patriarchat die bulgarisch-orthodoxe Gemeinde (ca. 500 Personen) und die kleine russisch-orthodoxe Gemeinde.

 

Die Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien (des Westens) sind vor allem aus dem Gebiet des Tur Abdin im Südosten der Türkei, in dem noch die Sprache Jesu – Aramäisch – gesprochen wird, nach Istanbul gekommen. Es wird derzeit geschätzt, dass ca. 10.000 syrisch orthodoxe Christen in der Stadt Istanbul leben, also mehr als im eigentlichen Kerngebiet. Ihr geistliches Oberhaupt in Istanbul ist ein Patriarchalvikar im Rang eines Metropoliten, d. h. er fungiert hier als Vertreter des Patriarchen von Antiochien, der seinen Sitz in Damaskus hat. Der Tur Abdin wird von einem Metropoliten verwaltet.

Auch den Syrern ist die Sorge um die Jugend ein großes Anliegen, so gibt es ein großes Bemühen um die außerschulische Jugendarbeit. Die meisten Jugendlichen sprechen nur noch Türkisch, da sie türkische Schulen besuchen. Erst durch die Harmonisierungsgesetze im Rahmen der EU-Verhandlungen wurde Syrisch als Unterrichtssprache ermöglicht. Denn diese Kirche ist zwar einheimisch, hatte aber nicht die selben Möglichkeiten wie die armenischen, griechischen oder bulgarischen Kirchen, deren Mitgliedern durch den Vertrag von Lausanne das Recht auf eigene Schulen zugesagt ist. Im Gottesdienst wird daher neben der dem aramäischen als Kultsprache vor allem auf Türkisch gepredigt, um die Menschen zu erreichen. Doch viele Syriani sind nach Europa ausgewandert, wo sie sich mehr Möglichkeiten erhofften.

Die Gemeinde der unierten syrisch-katholischen Kirche hat etwas mehr als 1.000 Mitglieder, die von einem Chorbischof geleitet werden. Er ist als Vertreter des Patriarchalvikariats daher auch Mitglied der katholischen Bischofskonferenz der Türkei. In Istanbul übernahmen sie die ehemalige Jesuitenresidenz.

Die Chaldäische Kirche, die der mit Rom unierte Zweig der syrisch-orthodoxen Kirche des Ostens ist, zählt zur Zeit ca. 2.000 Mitglieder, wobei bei ihnen immer wieder Menschen, die aus dem Irak kommen, Aufnahme finden. Ihr Titel lautet auf das Erzbistum von Diyarbakır, doch gibt es dort kaum mehr Gläubige, da diese vielfach nach Istanbul abgewandert sind.

Es ist eine sehr intensive Gemeinde, um die sich der Patriarchalvikar, der gleichzeitig der einzige Priester ist, kümmert. Ihr Gottesdienstzentrum ist die Krypta der römisch-katholischen Kirche St. Anton.

Die maronitische Kirche wurde bereits im geschichtlichen Teil erwähnt.

 

Die Ausländerkirchen

 

Die römisch-katholische Kirche hat ca. 15.000 Mitglieder. Sie spiegelt die Weltkirche und zur Zeit werden in ihr im Gottesdienst 7 Sprachen gesprochen: Türkisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Englisch, Deutsch und Spanisch. Damit verbunden sind auch die verschiedensten Mentalitäten und Kirchenbilder aus den verschiedenen europäischen Herkunftsländern. Heute entwickelt sich das Türkische immer mehr in der Nachfolge des Französischen zur gemeinsamen Sprache. Es gibt nur mehr sehr wenige einheimische lateinische Christen, Levantiner.

Die meisten Katholiken sind entweder als Entsandte, Wirtschaftstreibende oder Lehrer hier und kehren nach einigen Jahren in ihre Heimat zurück. Anders ist die Situation der (vor allem deutschsprachigen) Frauen, die in die Türkei geheiratet haben oder der Philipinos, die als Hausgehilfen tätig sind, sowie von Afrikanern.

Fast alle Priester und Ordensleute kommen durch ihre Gemeinschaften, die hier Werke aufgebaut haben, aus Europa.

So ist der Bischof, der apostolische Vikar von Istanbul, französischer Assumptionist und der Generalvikar italienischer Dominikaner. Zum Vikariat Istanbul gehören die Gebiete Thrakien (europäische Türkei), die Regionen Istanbul, Bursa und Ankara.

Das alte Erbistum Izmir mit einigen hundert Katholiken wird von einem italienischen Kapuziner, der gleichzeitig der Vorsitzende der Türkischen Bischofskonferenz ist, geleitet.

Das Apostolische Vikariat Anatolien ist zwar sehr groß, hat aber nur ca. 2.000 Gläubige. Bischof ist ein italienischer Kapuziner.

 

Die evangelische Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei besteht seit 1843. Sie wurde gegründet, um deutschen evangelischen Christen zunächst eine religiöse Heimat, aber dann auch schulische und ärztliche Betreuung zu geben. Heute arbeitet die evangelische Gemeinde für Entsandte, Wirtschaftstreibende, Lehrer und die hier verheirateten Frauen.

Auch sind die folgenden englisch-sprachigen Kirchen der Reformation in Istanbul vertreten: Die anglikanische Kirche hat ihr Zentrum in der Krimkirche sowie im Britischen Generalkonsulat. Die Presbyterianische Kirche kommt aus Amerika. Die Union Church – ein Zusammenschluß amerikanischer und australischer Freikirchen – betreut die Dutch Chapel.

Entsprechend zu den katholisch-unierten Kirchen gibt es auch seit dem 19. Jahrhundert evangelische Gruppen der östlichen Kirchen, etwa evangelisch-armenische Christen, deren Zahl heute verschwindend klein ist.

Daneben gibt es noch kleinere evangelische Freikirchen, die in der letzten Zeit öffentlich stark wahrgenommen wurden. Zu ihren Mitgliedern zählen vermehrt auch türkische Konvertiten.

Innerhalb der Türkei haben die Kirchen zumeist gute Beziehungen. In gleicher Weise leiden alle darunter, dass sie vom Staat nur geduldet, aber nicht rechtlich anerkannt sind, was besonders in Besitzfragen bzw. für die Nachbesetzung von geistlichen Führern immer wieder zu Schwierigkeiten führt.

Bei ökumenischen Gottesdiensten kann man auf kleinstem Raum die Vielfalt dieser Kirchen mit ihren Liturgien erleben, so dass man wirklich das Gefühl hat, an diesem Ort des alten Patriarchats von Konstantinopel die Kirchen der Welt zu erleben.

 

Die Kirchenfamilien der Türkei
1.    Altorientalische Kirchen (Abtrennung seit dem 3. Konzil von Ephesus 431)

1.1.    Assyrische Kirche des Ostens

          (nicht mehr mit Hierarchie vertreten)

1.2.    Syrisch-orthodoxe Kirche des Westens

1.3.    Armenisch-apostolische Kirche

2.    Orthodoxe Kirchen (Trennung mit der Kirchenspaltung von 1054)

2.1.    Griechisch-orthodoxe Kirche

2.2.    Bulgarisch-orthodoxe Kirche

2.3.    Russisch-orthodoxe Kirche

3.    Katholische Kirchen

3.1.    Römisch-katholische Kirche

3.2.   Unierte Kirchen

  3.2.1.   Chaldäische Kirche

  3.2.2.   Syrisch-katholische Kirche

  3.2.3.   Armenisch-katholische Kirche

4.    Kirchen der Reformation

4.1.    Evangelisch lutherische Gemeinde deutscher Sprache

4.2.    Anglikanische Kirche

4.3.    Union Church

4.4.    Presbyterianische Kirchen

4.5.    Evangelische Freikirchen

 

Kursivschrift – Sammelbezeichnungen für Kirchenfamilien

Normalschrift – Namen der einzelnen Kirchen