Internierung und Neubeginn

Wieder einmal hatten die an der Schule tätigen Lehrer die Wahl zwischen Ausbürgerung und lnternierung zu treffen. Ermuntert durch den päpstlichen Delegaten Monsignore Giuseppe Roncalli, nachmalen Papst Johannes XXIII., entschlossen sie sich, in zentralanatolische Internierungslager zu gehen, nach Çorum, Kirsehir und Yozgat. Man war der Meinung, daß der Krieg irgendwann beendet und der Betrieb in St. Georg wieder aufgenommen werden würde, und man zog die lnternierung vor, um beizeiten wieder zur Stelle zu sein.

Bis zum 26. Dezember 1945 blieben die Schwestern und Lazaristen in ihren Verbannungsorten. Sie versorgten dort die Kranken, unterrichteten Kinder und hielten Gottesdienste ab. Ein erhaltener Brief schildert die Lage der Österreicher in Anatolien:

"Wir fuhren am 23.8.1944 von Stambul weg ... Nach fast 2 Tagen kamen wir ans Ziel, in einem vollgestopften Auto langten wir in der Nacht in Yozgat an. Der Valy (Gouverneur) begrüßte uns in seinem Salon als Gäste ... Am nächsten Tag wurden wir in ein ziemlich großes Haus geführt, mit schönem Garten, Wasser in der Nähe - eine Seltenheit hier. Anfangs hatten wir weder Tisch noch Bank, wir saßen buchstäblich auf dem Boden, schliefen auf der Erde, aßen nur unsere Reste vom Reiseproviant. Erst nach und nach wurden wir kultivierter, schafften uns das nötige Mobiliar an, teils durch Miete, teils gezimmert aus einfachen Brettern ... Wir (von St. Georg) kochten für die Auswärtigen, ob reich oder arm, gegen Bezahlung 50 - 60 Piaster. Manchmal waren 40 - 60 Gäste. Arme wurden gratis versorgt. Wir übernahmen Wäsche, teils gegen Entgelt, teils umsonst. Die Schwestern hielten Schule für die einzelnen Schulstufen; in unserm Haus fanden auch Sprachkurse statt: Englisch, Französisch, Türkisch ... Jeden Sonntag schöner Gottesdienst mit Predigt und Gesang ... Das Schwerste war wohl hier, das gänzliche Abgeschlossensein von allen. Schon nach einigen Wochen wurde uns der Postverkehr verboten ... Der Ausgang des Krieges, der Zusammenbruch, die Not, das Schicksal der Heimat, die Frage: was wird uns die Zukunft bringen? Und erst die Gerüchte: Nach Spanien, nach Amerika, nach Rußland ... überallhin wird man uns schicken ... Man glaubte, man hoffte, man zitterte und bangte ... Am 28.12.1945 kamen wir von Yozgat in Haydarpasa an, tags darauf die andern. Welche eine Begrüßung! Magnificat! Dank!"

Schule und Einrichtung fand man in desolatem Zustand wieder: In der Zwischenzeit waren dort eine Handels- und eine Gewerbeschule eingerichtet gewesen. Nach den notwendigsten lnstandsetzungsarbeiten und nachdem von den türkischen Behörden die entsprechende Erlaubnis eingelangt war, konnte 1947 der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden. Für die Wiedereröffnung setzte sich der österreichische Gesandte in der Türkei, Dr. Clemens Wildner, nachhaltig ein; hier auszugsweise ein Brief von ihm an den Provinzial der Lazaristen in Wien:

"Ich danke Ihnen verbindlichst für Ihr Schreiben vom 26. 4. und Ihre Mitteilungen sowie Ihre Entschlüsse, betreffend die Wiederaufnahme des Unterrichts bei St. Georg in Istanbul. Ich habe mich über Ihre Mitteilungen gefreut, da ich nun sicher bin, daß diese Anstalten, die par excellence auch berufen sind, Künder österreichischer Kultur und österreichischen Geistes zu sein, nun wieder die Arbeit aufnehmen können. Ich gehe in dieser Beziehung vollkommen einig mit Sr. Ex. dem Herrn Päpstlichen Nuntius, Erzbischof Dr. Marina, mit dem ich alle diesbezüglichen Fragen eingehend besprochen habe. Sie können jedenfalls versichert sein, daß ich alles tun werde, was in meinen Kräften steht, um dem Kloster zu helfen, und daß ich, soweit es mir irgend möglich ist, meine Hand über demselben halten werde."

Während man in Europa an die Behebung der Kriegsschäden ging, wirkten die Schwierigkeiten in St. Georg lähmend: Gebäudezustand, ungenügende Einrichtung, wirtschaftliche Lage und Personalstand erlaubten kaum die pädagogische Arbeit. Die Mädchenschule eröffnete mit 43 Schülerinnen und acht Schwestern sowie zwei österreichischen und sieben türkischen Lehrern; Schwester Adeliria Postruschnik fungierte als Direktorin. Die Knabenschule ging mit 118 Schülern in dieses Schuljahr. Sie hatte neben den baulichen Mängeln noch unter der Schwierigkeit zu leiden, daß Lazaristenpriester fehlten - der Krieg hatte auch in den Reihen der Ordensgemeinschaft reiche Ernte gehalten. Das Ministerium für Unterricht und Kunst in Wien entsandte zwei Subventionslehrer und half St. Georg aus den größten Nöten.

1951 löste Mag. Ernest Raidl Leopold Dvorschak in dessen Funktion als Superior ab, 1957 übernahm Raidl auch die Schulleitung.

1958 erlaubten die türkischen Behörden nach einem entsprechenden Antrag der Mädchenschule von St. Georg die Führung eines Lise (Oberstufe eines Realgymnasiums) neben der bisherigen Orta (Unterstufe), und das war die Krönung der bisherigen Laufbahn und der Lohn für die Bemühungen. 1962 legten die ersten 23 Mädchen die Matura ab.