Von der byzantinischen Kirche zur genuesischen Metropolkirche

In der Urzeit des Christentums, so besagt es eine Legende, soll ein Apollo-Tempel dort gestanden sein, wo heute die Kirche St. Georg steht, und in diesem soll eine ihm geweihte Quelle entsprungen sein. Als sich im Römischen Reich das Christentum durchsetzte, habe man den Tempel in eine dem Heiligen Georg geweihte Kirche umgewandelt, und an diesem Teil der Legende ist insofern etwas Plausibles, als Apollo-Heiligtümer auch andernorts in Georgskirchen umgewandelt wurden; St. Georg löste mit all den Attributen und Assoziationen, die der Volksglaube ihm zuschrieb, den ihm wesensverwandten vorchristlichen Apollo ab. Schließlich erzählt die Legende, daß eine Jungfrau Irene, Tochter des orientalischen Königs Licinius, just an dieser Stelle das Martyrium erlitten habe und daß man ihren abgeschlagenen Kopf in den Brunnen geworfen habe.- Grund genug für eine reiche Legendenbildung, die Christen noch im 19. Jahrhundert veranlaßte, zu dem besagten Brunnen zu pilgern und dort heiliges Wasser zu entnehmen. Der Irenenbrunnen ist nach wie vor dort, als ursprünglich etwa 14 Meter tiefer und mit einem Stahldeckel abgedeckter Schacht im Kirchenboden; sein Wasser jedoch ist versiegt, als man die Untergrundbahn Tünel erbaute, und der Schacht ist seitdem aufgeschüttet.

Erstmals urkundlich faßbar wird die Georgskirche im Chrysobullon des Kaisers Andronikos II. von 1. Mai 1303. Dieser Paläologenkaiser, der zwischen den politischen Interessen von Venedig und Genua zu lavieren hatte, legte in dem genannten Edikt die Grenze der Siedlung der Genuesen am Ufer des Goldenen Horns gegenüber Konstantinopel fest, und dabei erwähnte er, daß die Grenze "gegenüber der Kirche des großen und heiligen Märtyrers Georg" vorbeiführe. So lag St. Georg also außerhalb der Mauern des Genuesenviertels, und es wird angenommen, daß sie damals dem byzantinischen Ritus diente, weil eine lateinische Kirche wohl in das Genuesenviertel aufgenommen worden wäre.

Am 6. Mai 1352 gestand Kaiser Johannes V. den Genuesen die Erweiterung ihres Stadtgebietes zu. Bei dieser Erweiterung kam die Kirche St. Georg in das Innere der Genuesenstadt, und nun darf wohl auch die Latinisierung der Kirche angenommen werden. Sie nahm an Beliebtheit zu, zumal sie dem Stadtpatron Genuas, St. Georg, geweiht war, und lief der Kirche St. Michael, die bis dahin den Genuesen als Hauptkirche gedient hatte, den Rang ab, wie erhaltene Belege schließen lassen. Scarlatos Byzantios erwähnt in einem 1862 erschienenen Buch, daß St. Georg vor der Eroberung Konstantinopels durch die Türken die Kathedrale und Metropole der in Galata ansässigen Genuesen gewesen sei.

Als Fatih Sultan Mehmet die Stadt 1453 belagerte und einnahm, hielten sich die Genuesen von den Schauplätzen der Auseinandersetzung fern, und sie schlossen mit dem Sultan nach der Einnahme der Stadt einen Vertrag, der ihre Rechte und Freiheiten beschrieb, unter anderem wurde dort auch der Weiterbestand der Kirchen von Galata gesichert. In der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts unternahm Sultan Mehmed II. in einer Urkunde eine Bestandsaufnahme der islamischen Stiftungen in Pera, in der die christliche Kirche St. Georg unter dem Namen "Aya Yorgi" angeführt wird.

1518 sandte Papst Gregor XIII. einen Visitator nach Konstantinopel, den Bischof Pietro Cedulini. Aus dessen Visitationsbericht geht hervor, daß St. Georg zu dieser Zeit untergeordnete Bedeutung hatte, San Francesco und San Pietro in Pera werden als Hauptkirchen angeführt, St. Georg wird hingegen sozusagen beiläufig erwähnt mit dem Vermerk, daß die Kirche 400 Aspren Einkünfte aus einer venezianischen Stiftung beziehe. Der französische Botschafter de Germigny beschrieb 1580 in einem Brief das Patronatsfestes in St. Georg, aber neben den Festtagen hatte es anscheinend kaum Bedeutung für das kirchliche Leben in Galata. 1583 beanspruchte der englische Botschafter, wie urkundlich erhalten ist, die Kirche für sich mit dem Hinweis darauf, daß St. Georg ein "verlassenes" Gotteshaus sei. Dies löste allerdings Aktivitäten aus: Der Gesandte von Venedig beauftragte seinen Hauskaplan, dort regelmäßig Messen zu lesen, und ein Bruder der in eben diesem Jahr eingerichteten Jesuitenmission hielt von da an täglich Katechismusunterricht - allerdings wohl nicht über 1586 hinaus, denn da wurden die Jesuiten mit vielen anderen Einwohnern der Stadt Opfer einer Pestepidemie.

1618 berichtete die Communità (sie verwaltete das Kirchenvermögen, während die Stadtverwaltung von Galata seit 1453 in türkischen Händen lag) in einem Brief, daß St. Georg nach der Pest zuerst von einem Konventualen betreut worden war, später von zwei Kapuzinern, dann von einem chiotischen Priester, einem anderen Ordensmann und schließlich von einem Dominikaner. Seit 1609 waren wieder Jesuiten in Galata, und als die Communità St. Georg wieder an diese zu übergeben trachtete, entstanden Auseinandersetzungen mit den Dominikanern: Die Jesuiten sollten im Auftrag der Communità eine Schule für die fränkischen Bewohner Galatas errichten, allein die Dominikaner wichen nicht. Um Klarheit zwischen den Ordensleuten zu finden, kam ein päpstlicher Visitator aus Rom. Dieser, P. Tommaseo Burlamacchi, traf am 17. Juli 1609 ein und ließ sich vorübergehend in St. Georg nieder, um die Fakten zu erörtern. In seinem 1612 veröffentlichten Bericht ist eine detailreiche Schilderung der Kirche St. Georg enthalten: Sie stehe zwischen zwei großen Palästen und mit diesen in einer Front an der Straße; auf der einen Seite sei jener der Familie Peron, auf der anderen Seite sei ein Haus "englischer Häretiker".

Die Kirche war zur Zeit der Visitation nicht so hoch wie die benachbarten Paläste. Ihr Tor, so der Visitationsbericht, sei von zwei Säulen aus weißem Marmor frankiert, das Innere sei nahezu quadratisch, der Hochaltar stehe in einem geräumigen Presbyterium auf drei Stufen, ein zweiter Altar stehe "anschließend an die Kirchentür in einer Art Kapelle", und in einem weiteren kleinen Altar nahe des Hochaltars befinde sich ein "wunderbares" Marienbildnis, das eine edle Einwohnerin Peras gestiftet habe.

Der Patriarchalvikar von Konstantinopel, Joseph de Bruno 0.F.M. Conv., bei dem die Auseinandersetzung zwischen Communità, Dominikanern und Jesuiten nun zur Entscheidung anstand, befand, daß der in St. Georg tätige Vikar den Schlüssel der Kirche unverzüglich der Communità auszuhändigen habe, weil diese der rechtmäßige Besitzer sei. 1619 nahmen daraufhin Minoriten im Auftrag der Communità den Dienst in St. Georg auf.

Ende 1622 fand wieder eine Visitation statt, diesmal durch Bischof Pietro Demarchis OP von Santorin.

1623 war St. Georg mehrere Monate lang nicht versorgt, jedoch setzte die Communità einen geistlichen Verwalter ein, der die Kirche jeden Morgen offenzuhalten hatte. 1626 endlich trafen französische Kapuziner ein, übernahmen am 19. Juli mit einem feierlichem Festakt die Kirche, und bemühten sich fortan erfolgreich um das kirchliche Leben: Sie predigten, unterrichteten den Katechismus, betreuten Kranke und Sklaven und wirkten zum Zwecke der Konversion auf Kirchenabtrünnige ein. 1628 bot ihnen die Communità ein Haus an, in dem sie eine Schule errichten sollten. Auch der französische Botschafter jener Jahre unterstützte die Erweiterungsbemühungen der Gemeinschaft von St. Georg; 1637 wurde das schon erwähnte Nachbarhaus des Stefan Piron (1609 hieß er "Peron") angekauft. In der Nacht vom 10. auf den 11. April 1660 brannte Galata ab, der gesamte Komplex von St. Georg wurde zerstört und die Bemühungen der Kapuziner zunichtegemacht.