Die Vielfalt der Kirchen in der Türkei - Geschichte

v. Elisabeth Dörler, April 2007

 

In der Türkei gibt es derzeit 16 sehr unterschiedliche Kirchen. Der historische Ursprung soll hier kurz erklärt werden:

Wenn wir eine Landkarte um 100 n. Chr. anschauen, d.h. ungefähr zu der Zeit, als das Johannesevangelium geschrieben wurde, gehörte Kleinasien neben Palästina zu den Kerngebieten des Christentums. “Asia minor” entspricht in etwa der heutigen Türkei. Es war auch das Land der Gemeinden der 7 Sendschrieben bzw. des Paulus.

Die ersten Nicht-Juden, die in größerer Zahl das Christentum in Einzelbekehrungen annahmen, waren Syrer, die nördlich von Palästina lebten. Für uns Christen hat das bis heute eine sehr große Bedeutung, da die historisch am ältesten erhaltenen Originaltexte des Neuen Testaments syrisch sind, obwohl das Neue Testament ursprünglich in Griechisch geschrieben wurde.

Auf einer Landkarte, die die Situation von ungefähr 300 n. Chr. das heutige Gebiet der Türkei zeigt, sehen wir schon drei Zentren:  
- Westliche Kleinasien um Ephesus,  
- Armenien
- Syrien.     
Es sind die Herkunftsgebiete der heutigen einheimischen Kirchen der Türkei:

Kleinasien als Erbe der Verkündigung des Apostel Paulus hat sich über die Reichskirche zur Byzantinischen Kirche und dann weiter zur heutigen griechisch-orthodoxen Kirche entwickelt.

Armenien hatte 301 als erstes Volk das Christentum angenommen, indem König Tiridates III. von Gregor dem Erleuchter getauft wurde. Die zweite Kulturleistung in diesem Zusammenhang war die des Theologen Mesrop Maschtoz, der für die Bibel und die liturgischen Bücher die armenische Schrift entwickelte, indem er aus den ihm bekannten christlichen Schriften - der griechischen und der syrischen - Anleihen nahm.

Syrien war durch Einzelbekehrungen mehrheitlich christlich geworden und hatte schon seine ersten großen Klöster gebildet. Heute ist uns dieses Kerngebiet als der Tur Abdin bekannt. Dort finden sich auch heute noch historische Schätze wie Evangeliare und liturgische Bücher, Kirchen und Klöster. Bedeutend ist aber auch die liturgische aramäischen Sprache. Es ist dies eine semitische Sprache, die auch Jesus gesprochen hat.

Das, was aber die Kirchen der damaligen Zeit wirklich beschäftigt hat, war die Entwicklung der Christologie. Die ersten Konzilien hatten immer zum Thema, wie Jesus definiert werden solle. Die beiden ersten Konzilien (Nizäa 325 und Konstantinopel 381) beschäftigten sich mit dem Glauben an den dreifaltigen Gott, wie er dann auch im „Nizäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis“, das wir auch das „große“ nennen, formuliert wurde. Bis heute ist dieser Text einer der verbindenden Texte der gesamten Christenheit, weil es noch keine offizielle Trennung gab. Es gab aber schon sehr unterschiedliche theologische Schulen, die einander auch bekämpften.

Um 381 war dann die Konstantinische Wende. Das Christentum wurde römische Staatsreligion und der Staat fühlte sich für die Verteidigung des Glaubens verantwortlich, damit nicht durch religiöse Streitigkeiten die Einheit des Staates gefährdet wurde.

Damit gab es für die Christen nun eine doppelte Grenze: Schon zuvor hatte es die politische Grenze des römischen Reiches gegeben, aber jetzt fühlte sich das Kaiserreich auch offiziell als Schutzmacht für das Christentum zuständig.

Schon zum 1. Konzil in Nizäa (dem heutigen Iznik) hatte 325 Kaiser Konstantin eingeladen, um Frieden unter den zerstrittenen Schulen (gegen Arius, der betonte, dass der Sohn dem Vater unterzuordnen sei) wiederherzustellen. So geriet das Christentum immer stärker unter den Einfluss des Staates.

Dazu kamen weitere innertheologische Streitigkeiten, die oft an der Gestalt des Bischofs Nestorius deutlich gemacht werden, der Maria als nur Christus-, nicht aber Gottesgebärerin ansah, was wiederum heißt, dass in seinem Verständnis die beiden Naturen Jesu, die göttliche und die menschliche, wie durch eine Kluft getrennt waren. Das Konzil von Ephesus entschied sich 432 für den Begriff „Gottesgebärerin“, weil Jesus wahrer Mensch und wahrer Gott ist.

Im Gegensatz dazu standen die Monophysiten, die die göttliche Natur Jesu Christi auf Kosten der menschlichen so betonten, dass sie vergöttlicht wurde.

Diese Probleme im Streit der Theologien sollten auf dem Konzil von Chalcedon (dem heutigen Kadiköy) 451 gelöst werden. Aber zweierlei hatte sich getan:

Die sogenannten „Nestorianer“ hatten sich in den Osten zurückgezogen, d.h. die Christen, die sich auf die Apostel Thomas und Thaddäus bezogen, waren die Kirche Ostsyriens und Persiens (bis hin zu den Thomaschristen in Indien) geworden. Sie fühlten sich als eigene nationale Kirche unter der politischen Oberhoheit Persiens (seit 424). Um nicht in Streit mit ihren politischen Herren zu kommen, mussten sie sogar 486 offiziell die nestorianische Lehre annehmen, um nicht in ihrem Gebiet als staatsfeindlich dargestellt zu werden. Auf diesem Hintergrund konnten sie dann auch nicht mehr am 4. Konzil von Chalcedon teilnehmen, da zwischen ihnen und den anderen Christen die Grenze des römischen und des persischen Reiches lag. Damit war es zu einer ersten Trennung gekommen.

Ein Teil der dieser ostsyrischen Gläubigen ging im 16. Jahrhundert eine Union mit Rom ein, unter Beibehaltung des syrischen Ritus und so entstand die unierte Chaldäische Kirche mit dem Sitz des Patriarchats in Bagdad/Irak.

Die heutige syrisch-orthodoxe Kirche des Ostens hat sich nach komplizierten geschichtlichen Entwicklungen in zwei Patriarchate gespalten:       
Der Sitz der assyrischen Kirche des Ostens wurde 1995 in die USA verlegt. Die alte Kirche des Ostens hat ihren Sitz in Bagdad im Irak. 1994 wurde die seit 486 bestehende offizielle Trennung zwischen der alten Kirche des Perserreiches und der katholischen Kirche aufgehoben.

Im westsyrischen Bereich wurde 397 dem syrischen Mönchtum im Tur Abdin eine kaiserliche Schenkung zuteil, das heutige Kloster Mor Gabriel. Der Hintergrund war wahrscheinlich der Vertrag von 363, durch den Gebiete im Süden und Osten des Tur Abdin an das Perserreich abgetreten wurden. So sollte wohl der Tur Abdin zum Bollwerk gegen die Perser werden, einerseits als gottgefälliger Ort, andererseits aber doch auch als handfeste Burg. Im Umfeld entstanden dann noch weitere Klöster. Dann hörten die Schenkungen auf, da sich diese Gruppe von der Reichskirche entfernte. Die Westsyrische Kirche, die manchmal auch Jakobitenkirche (nach dem bedeutsamen Bischof Jacobos Baradai) genannt wird, erkannte die Beschlüsse des Konzils von Chalcedon nicht mehr an. Oft werden die Westsyrer deshalb auch Monophysiten genannt, obwohl sie sich selber nicht als solche verstehen, da sie damals lediglich frei von der Reichskirche von Byzanz sein wollten. Diese Syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien (des Westens) hat ihren Patriarchensitz nominell in Antiochien (Antakya/Türkei), der Patriarch lebt in Damaskus.

Ähnlich verlief die Entwicklung der Armenisch-Apostolischen Kirche, die von Beginn an eine Nationalkirche war. Die Armenier wurden zwar auch Monophysiten genannt, hatten aber eigentlich ebenfalls eine politische Trennung hinter sich, da sie zuerst ein eigenständiges Königreich außerhalb des römischen Reiches waren und dann unter die Herrschaft des Perserreiches kamen, also nicht unter der Jurisdiktion von Rom oder Byzanz standen, und sich deshalb seit dem Konzil von Ephesus eigenständig entwickelten.

Von beiden Gruppen gibt es seit dem 17. Jahrhundert je eine mit Rom unierte Kirche: die Syrisch-katholische Kirche und die Armenisch-katholische Kirche, die jeweils einen eigenständigen Ritus hat, aber unter der Oberhoheit des Papstes in Rom steht. Diese unierten Kirchen entstanden aus einem anderen Einheitsverständnis einer früheren Zeit. Die Mutterkirchen des Ostens sehen ihre Existenz sehr kritisch, sie sind für die Kirche Roms aber auch ein Zeichen der Vielfalt des Glaubens.

Eine weitere katholische Ostkirche aus der syrischen Kirchenfamilie sind die Maroniten, die in kleiner Zahl im Raum Tarsus zu finden sind.

Die Byzantinische Reichskirche hatte sich immer mehr unter dem Schutz des Staates entwickelt, bis schließlich die großen Spannungen zwischen Ost- und Westrom eskalierten. Die kirchlichen Vertreter von Byzanz und Rom waren auch Kinder ihrer Zeit, so dass eigentlich nur ein Tropfen das Fass zum Überlaufen brachte. Kirchenhistoriker sagen, dass die Exkommunikationsbullen von 1054 sich auf einzelne Persönlichkeiten beziehen, doch der Trennungsschnitt war damit gemacht. Das war das traurige Ende der Gemeinschaft der östlichen und der westlichen Christen, von Byzanz und Rom.

Auch wenn der gegenseitige Bann am Ende des II. Vatikanischen Konzils aufgehoben wurde, haben sich zwei sehr eigenständige Kirchenfamilien entwickelt: die orthodoxen Kirchen mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel als Ehrenoberhaupt, darum der Ehrentitel „Ökumenischer Patriarch“, und die katholische Kirche mit dem Bischof von Rom als Oberhaupt, dem Papst.

Die orthodoxe Kirche entwickelte sich immer weiter zu einem autokephalen Nationalkirchensystem, wie es die griechisch-orthodoxe Kirche, die russisch-orthodoxe Kirche oder die bulgarisch-orthodoxe Kirche sind, die sich alle heute in der Türkei finden. Sie trennten sich jeweils von ihrer Mutterkirche, sobald sie aus sich heraus lebensfähig waren. Das waren allerdings nicht immer friedliche Vorgänge. Im Gebiet um Antakya leben arabisch sprechende Gläubige des orthodoxen Patriarchates von Antiochien, die nicht dem Ökumenischen Patriarchen in Istanbul zugeordnet sind.

Die römisch-katholische Kirche, wie sie sich heute in der Türkei findet, war durch Handelsleute wie die Genuesen oder durch politische Kontakte (Gesandtschaften) nach Konstantinopel gekommen. Sie war die Kirchengemeinschaft der sogenannten „Levantiner“, aber auch immer der Ausländer. Diese historische Entwicklung ist auch der Grund für die noch immer bestehende Bedeutung des Französischen als lateinische Kirchensprache, das erst in den letzten Jahren langsam durch das Türkische ersetzt wird.

Ähnlich kamen die Kirchen der Reformation nach Istanbul. Deren Geschichte ist Mitteleuropäern eher aus dem Geschichteunterricht bekannt:

Auf Martin Luther führt sich seit der Reformation die Evangelisch-lutherische Kirche zurück. Heinrich VIII. sagte sich von Rom los und begründete so die Anglikanische Kirche. Die Presbyterianische Kirche ist eine Weiterentwicklung dieser beiden Kirchen in den USA.